Exkursion „UNESCO Welterbe in Kuba“ 2020

Über 60 Jahre nach Beginn der kubanischen Revolution setzten sich 22 Geographiestudierende der JGU Mainz mit den Auswirkungen des internationalen Tourismus auf die Lebenswelt der kubanischen Bevölkerung auseinander. Als Kuba im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre in eine ökonomische Krise geriet, entschlossen sich die sozialistischen Planer, das Land für ausländische Touristen zu öffnen. Der internationale Tourismus sollte fehlende Subventionen und weggebrochene Absatzmärkte kompensieren und entwickelte sich zur wichtigsten Devisenquelle des Landes.

Die Strategie führte zu grundlegenden Veränderungen zahlreicher Orte auf der Karibikinsel. Zur Steigerung der touristischen Attraktivität und Imagebildung stellte die Regierung bereits in den 1980er Jahren Anträge bei der UNESCO. Heute gehören in Kuba sieben kulturelle Stätten und zwei Naturlandschaften zum Welterbe der Menschheit, die nicht nur von Individualtouristen, sondern zum Teil auch von zahlreichen Pauschaltouristen der All-Inclusive Resorts angesteuert werden. Die mit den Hauptdestinationen des Massentourismus verbundenen räumlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen bildeten den Schwerpunkt der Lehrveranstaltung. Als Exkursionsstandorte wurden mehrere UNESCO Welterbestätten, natur- und ökotouristische Projekte sowie das Sondergebiet Varadero ausgewählt.

Im Rahmen eines vorbereitenden Seminars befassten sich die TeilnehmerInnen insbesondere mit der Historie Kubas und mit wichtigen regionalgeographischen Aspekten. Darüber hinaus erarbeiteten sie in Kleingruppen Konzepte, um spezifische Fragestellungen an unterschiedlichen Orten mit geeigneten Hilfsmitteln (z.B. Karten, historische Aufnahmen) und empirischen Methoden zu untersuchen. Vor Ort waren die jeweiligen Gruppen für die praktische Umsetzung ihres Tageskonzeptes verantwortlich, mit dem Ziel, geographische Gegenstände besser zu verstehen und die erhobenen Daten im Anschluss an die Exkursion für einen Exkursionsbericht aufzubereiten. Die Planung und Durchführung fand in enger Absprache mit der Exkursionsleitung Univ.-Prof. Dr. Anton Escher und Marie Karner statt, die den Geländeaufenthalt vom 15.02.20 bis zum 29.02.20 fachlich begleiteten und organisierten.

Ein thematischer Fokus der Exkursion lag auf der empirischen Auseinandersetzung mit Prozessen der Touristification in kolonialen Altstädten. In Habana Vieja, dem historischen Stadtzentrum der kubanischen Hauptstadt, die seit 1982 zum von der UNESCO registrierten Weltkulturerbe zählt, untersuchten die Studierenden in Kleingruppen unterschiedliche Plätze. Sie fertigten Kartierungen an, erstellten Fotodokumentationen und führten explorative Interviews mit AnwohnerInnen, um die Geschichte der Plätze, deren heutige Funktion und ihre tageszeitliche Dynamik zu erfassen. In Trinidad, einer Kleinstadt, die seit 1988 den UNESCO-Weltkulturerbestatus inne hat, fertigten die Gruppen eine GIS-gestützte, funktionale Kartierung der Altstadt an. Um die Transformationsprozesse in der kolonialen Altstadt besser zu verstehen, in der seitdem zahlreiche Casas Particulares, Restaurants und Souvenirläden eröffnet haben, interviewten die StudentInnen außerdem die Investoren bzw. Betreiber ihrer privaten Frühstückspensionen. Als dritte historische Altstadt mit Welterbestatus stand Cienfuegos auf dem Exkursionsprogramm. In der Stadt, die seit dem 19. Jahrhundert ein Zentrum der Zuckerindustrie ist, interessierte insbesondere die Wechselwirkung zwischen historischem Zentrum und suburbanem Raum, der von sozialistischer Wohnbebauung geprägt ist.

Im Nationalpark Valle de Viñales, der seit 1999 als Kulturlandschaft der Menschheit vermarktet wird, versucht die Regierung den kleinbäuerlichen Tabakanbau aufrecht zu erhalten. Die hohe Anzahl an Touristen, die von der Karstlandschaft mit ihren charakteristischen Kegelfelsen (Mogoten) und Höhlen angezogen werden, hat zu grundlegenden Veränderungen des Ortes Viñales geführt. Die Familien haben zahlreiche Unterkünfte und Restaurants eröffnet und ihre Tabakfarmen auf die touristischen Bedürfnisse ausgerichtet. Aufgrund der ausbleibenden Kreuzfahrttouristen und der sinkenden Ankunftszahlen internationaler Touristen stehen derzeit Orte wie das Viñales Tal, die sich auf den Tourismus spezialisiert haben, vor besonderen Herausforderungen.

Das Öko-Dorf Las Terrazas befindet sich in einem Gebiet, das im Jahr 1984 von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt wurde. Der Name geht zurück auf den großflächigen Bau von Terrassen zur Aufforstung in den 1960er und 1970er Jahren. Im Zuge der Revolution wurde versucht, die Renaturierung der Natur als Symbol für einen funktionierenden Sozialismus zu nutzen, auch wenn es sich bei der aufgeforsteten Vegetation nicht um heimische Pflanzen handelt. Heute gilt die kleine Gemeinde als ökotouristisches Vorzeigeprojekt Kubas. Die Studierenden setzten sich vor Ort kritisch mit den Strategien (z.B. Besucherlenkung, Wissensvermittlung) und Problemen (z.B. Umweltverschmutzung) des Tourismus in einem schützenswerten Gebiet auseinander.

Besucht wurde auch der größte Nationalpark des Landes namens Ciénaga de Zapata. Er wurde ebenfalls zum Nationalpark und UNESCO Biosphärenreservat erklärt und zieht aufgrund der Invasion in der Schweinebucht im Jahre 1961 Touristen an. Im Anschluss an eine morgendliche Naturbeobachtung reflektieren die TeilnehmerInnen ihr eigenes Verhalten und die Strategien des Birdwatching-Guides, der die Vögel mit unterschiedlichen Lauten anlockte. Einen Kontrast zu derartigen ökotouristischen Praktiken bildete eine nahe gelegene Krokodilfarm, die den Touristen eine Vielfalt an exotischen Erlebnissen ohne Rücksicht auf artgerechte Tierhaltung bietet. Strategien zur Stärkung der nationalen Identität wurden bei der Besichtigung eines Taíno-Dorfes offensichtlich. Die inszenierte rituelle Begrüßung ist ein Beispiel dafür, wie in Kuba kulturelle Elemente herangezogen werden, die auf die vorkoloniale Zeit Bezug nehmen.

Abschließend wurde auf der Halbinsel Varadero, einem Zentrum des All-Inclusive Tourismus in Kuba, die touristische Infrastruktur von Hotels, Restaurants und Strandangeboten bis hin zu Fortbewegungsmitteln und Souvenirshops untersucht. Die Beobachtungen vor Ort machten deutlich, welche Images von Kuba reproduziert werden und mit welchen Eindrücken ein Großteil der Touristen das Land wieder verlässt.

© Bilder und Text: Marie Karner