Exkursion „Brasília und Umgebung“ 2019

Vom 12.08.2019 bis zum 28.08.2019 fand eine gemeinsame Brasilien-Exkursion des Geographischen Instituts der JGU Mainz und des Departamento de Geografia der Universidade de Brasília (UnB) statt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Anton Escher, Prof. Dr. Shadia Husseini de Araújo und Dipl.-Geogr. Marie Karner befassten sich 28 Studierende aus Brasília und Mainz mit einem breiten Spektrum an geographischen Fragen rund um die Themen Kulturerbeschutz, Gentrifizierung und Lebenswelten in Brasilien. Integraler Bestandteil der Lehrveranstaltung waren empirische Erhebungen in Kleingruppen, bei denen die Bachelor-, Master-, und Promotionsstudent_innen nicht nur Erkenntnisse über aktuelle Dynamiken in kolonialen Altstädten, sondern auch interkulturelle Kompetenzen erwarben. Ein Blockseminar im Sommersemester 2019 diente der landeskundlichen Vorbereitung des Geländeaufenthalts.

In der Hauptstadt Brasília wurde das Gesamtkonzept der von Lúcio Costa entworfenen autogerechten Planstadt diskutiert. In dem seit 1987 zum UNESCO Weltkulturerbe zählenden Stadtzentrum besuchten die Studierenden den Itamaraty-Palast, den Nationalkongress, die Kathedrale und das Zentralinstitut der Wissenschaften (ICC, UnB). Die expressiven modernen Betonbauten wurden, wie alle öffentlichen Gebäude der neuen Hauptstadt, vom brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer geplant. Eine Besichtigung der ersten im Plano Piloto fertiggestellten Superquadra (308 Sul) und ihrer zentralen Einrichtungen (z.B. Kirche, Kindergarten) veranschaulichte die im Sinne der Charta von Athen angestrebte funktionale Trennung von Wohn- und Arbeitsquartieren.

Konträr zur Grundidee einer geplanten Stadtanlage entstanden zahlreiche Satellitenstädte in der Umgebung der Verwaltungsregion Brasília, die oftmals höhere Einwohnerzahlen als die Kernstadt aufweisen. Begehungen formeller und informeller Siedlungen der Ciudade Estrutural verdeutlichten die infrastrukturellen, ökologischen und sozialen Herausforderungen der Satellitenstädte. Maßnahmen der Regularisierung sind jedoch für die Bewohner der Bezirke nicht unproblematisch, da sie mit steigenden Grundstückspreisen und Verdrängungsprozessen einhergehen.

Strategien zum Schutz des kulturellen Erbes wurden zunächst von einem Stadtplaner und Vertreter der brasilianischen Behörde für nationales historisches und künstlerisches Erbe (IPHAN) vorgetragen und anschließend in zwei Kolonialstädten empirisch untersucht. In Ciudade de Goiás und Pirenópolis, die zum Welterbe bzw. nationalen Erbe zählen, erfassten die Studierenden mit Hilfe von Kartierungen den Zustand, die Nutzung und die Eigentumsverhältnisse der Gebäude. Außerdem führten sie qualitative Interviews mit Bewohnern und Akteuren der Altstädte. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen auf unterschiedliche Phasen des Gentrifizierungsprozesses, standortbezogene Differenzen und spezifische Dynamiken, die mit vor Ort wirksamen alternativen Lebensformen in Zusammenhang stehen, schließen.

An den unterschiedlichen Exkursionsstandorten wurden außerdem Vertreter sozialer Bewegungen aufgesucht, um einen Einblick in zentrale gesellschaftliche Verwerfungen und damit verbundene soziale und politische Forderungen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu erhalten. Der Kampf der Indigenen wurde am Beispiel des Santuário dos Pajés, einem von Indigenen beanspruchten Gebiet inmitten des teuersten Immobilienerweiterungsprojektes Brasílias, sowie beim Marcha das Mulheres Indígenas offensichtlich. Auch fanden ausführliche Gespräche mit Anhängern der Landlosenbewegung (Movimento Resisténcia Popular, MST) sowie der Recht auf Stadt Bewegung (Movimento Resisténcia Popular, MRP) statt. Darüber hinaus gab es Treffen mit Vertretern der im Mercado Sul in Taguatinga ansässigen Künstlergemeinschaft, einer Kunstschule in Goiás Velho (Veiga Valle) und der Einrichtung Quintal da Aldeia in Pirenópolis. Sie schaffen Räume für alternative Bildung und intergenerationellen Austausch zur Stärkung der kollektiven Identität.

Die Vegetation, Fauna, Nutzung und Bedrohung des Cerrado, dem charakteristischen Landschaftstyp der Region, wurde bei Besuchen natur- und kulturtouristischen Einrichtungen wie der Chapada Imperial, der Faszenda Babilônia, des Reservas Ecológica Vargem Grande und des Santuários Vaga Fogo diskutiert.

Eine Besichtigung der Pilgerstätte Vale do Amanhecer veranschaulichte exemplarisch die Bedeutung des Spiritismus und Synkretismus in Brasilien. Spirituelle Praktiken von Anhängern konnten im Haupttempel der Gemeinschaft, die etwa zehntausend Mitglieder hat, in der Satellitenstadt Planaltina beobachtet werden.

Wir danken Prof. Dr. Shadia Husseini de Auraújo und den Studierenden der UnB für ihren einzigartigen Einsatz bei der Vorbereitung und Durchführung der Exkursion sowie der brasilianischen Forschungsgemeinschaft CAPES für die finanzielle Unterstützung der Lehrveranstaltung.

© Bilder und Text: Marie Karner