Mainzer Geographische Studien, Heft 22

Schürmann, Heinz: Sektoral polarisierte Entwicklung und regionale Partizipation in peripheren Räumen der Dritten Welt - Zur Problematik regionaler Entwicklung am Beispiel von Phosphatbergbau und Tourismus im südtunesischen Gouvernorat Gafsa unter besonderer Berücksichtigung demographischer Aspekte

 

Zusammenfassung

Die ernüchternden Ergebnisse der I. Entwicklungsdekade haben das Versagen oder Ungenügen der fast allenthalben rezipierten Wachstums- und Modernisierungsstrategien weithin offensichtlich gemacht. Trotzdem basiert die Mehrzahl auch der neu initiierten Entwicklungsprozesse in der Dritten Welt nach wie vor auf vergleichbaren Ansätzen.

In dieser Situation könnte problemorientierten geographischen Forschungen zur Dritten Welt - bei weiterem Abbau "traditioneller" Mängel wie Theoriedefizit, unreflektierte Ideologieträchtigkeit etc. - eine zweifache Funktion von beträchtlichem entwicklungspolitischen Potential zukommen:

  1. als Beitrag zur Planung und Evaluierung konkreter Entwicklungsprogramme,
  2. als empirischer "Baustein" alternativer Strategiemodelle,

und zwar beides auf der heute neue Bedeutung gewinnenden Ebene der regionalen Entwicklung, doch unter verstärkter Einbeziehung der übergeordneten räumlichen Strukturen und des größeren entwicklungspolitischen Rahmens.

Diese zwei Punkte umreißen zugleich das engere Programm der vorliegenden Untersuchung. In Form einer "integrierten" Regionalanalyse werden am Beispiel eines Peripherieraums im Süden Tunesiens, dem Gouvernorat de Gafsa, zwei Ansätze sektoral polarisierter Entwicklung, nämlich Phosphatbergbau und Tourismus, auf ihre regionalentwicklungspolitische Relevanz hin untersucht. Als Beurteilungskriterium gilt der Grad der direkten und induzierten "regionalen Partizipation", also der Einbindung und Beteiligung der regionalen Bevölkerung, ein Begriff, der - abgeleitet von einer emanzipatorischen Konzeption von Entwicklung - strukturell und funktional als Gradmesser und Instrumentarium regionaler Entwicklung in dieser Arbeit vorgeschlagen und definiert wird.

Die regionale Wirkungsanalyse verdeutlicht die dringende Notwendigkeit einer regionalen Integrierung sektoraler Polarisierung: sie zeigt einerseits einen weitgehenden Mangel an regionaler Partizipation, andererseits ein hohes Maß regionsexterner Dominanz, beides offenbar in besonderem Maße Spezifika der Peripherie.

Die kausale Verknüpfung der zwei Ergebnisse erweist die Abhängigkeit und Bedingtheit regionaler Entwicklung auch vom überregionalen Kontext, und zwar auf nationaler wie internationaler Ebene. Das Postulat regionaler Partizipation umfaßt daher, in teilweiser Anlehnung an dependenz-theoretisch fundierte, mehrstufige Zentrum-Peripherie-Modelle, neben einer Stärkung der Region auch eine Neuorientierung der zunehmend außenabhängigen nationalen tunesischen Entwicklungskonzeption, wobei eine behutsame Einbeziehung autozentrierter Aspekte für notwendig erachtet wird.

Die entwicklungsstrategische Bedeutung und politische Relevanz regionaler Partizipation in der Peripherie wären durch weitere empirische und theoretische Untersuchungen unterschiedlich strukturierter Räume und Systeme eingehender zu analysieren.