Mainzer Geographische Studien, Heft 6

Volkmann, Hartmut: Die Kulturlandschaft Norrbottens und ihre Wandlungen seit 1945

 

Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick

Die weltweit zu beobachtende Konzentration von Wirtschaft und Menschen in wenigen Ballungsräumen wirkte sich auf das am Rande der Ökumene liegende Norrbotten auf zweifache Art aus:

  1. Durch die immer stärker werdende Ausbildung einer Weltwirtschaft geriet die Provinz in deren Einflußbereich und unterlag damit auch deren Gesetzen. Die Anziehungskraft der Ballungszentren mußte sich auch auf diesen Raum auswirken, und zwar um so kräftiger, als er an der Peripherie liegt, wo Entwicklungen verspätet einsetzen, dann aber schneller verlaufen.
  2. Die veränderte Situation bewirkte ebenfalls eine Konzentration innerhalb der Provinz selbst. Es kam zu Interferenzen beider Entwicklungsströme.

Die Besiedlung und damit die Nutzung der Provinz fand zu einer Zeit statt, als die bestehenden Verkehrsverhältnisse kleine, in sich autarke Räume bedingten, die nur lose miteinander in Verbindung standen, und als für die Ernährung der Menschen eine wesentlich größere Fläche als heute erforderlich war. Darin trat in der Folge ein Wandel ein, doch waren die Verkehrsverhältnisse - durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges noch verzögert - solange hinreichend schlecht (etwa bis in die 50er Jahre), um eine echte globale Wirtschaft zu verhindern. Erst in der Folgezeit waren die verkehrsmäßigen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür gegeben. Sie führten zu einer Abnahme der im primären Sektor Erwerbstätigen und einer Zunahme jener im sekundären und besonders im tertiären Bereich. Diese, auch anderenorts zu beobachtende Entwicklung erfuhr in Norrbotten eine entscheidende Abwandlung. Durch die Lage am Rande der Ökumene setzte der Prozeß erst sehr spät ein, verlief dann aber um so schneller.

Theoretisch mußte sich die Zahl der frei werdenden und neu hinzugekommenen Arbeitsplätze das Gleichgewicht halten oder die Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot sogar überwiegen. Tatsächlich war dies nicht der Fall, da die neuen Arbeitsplätze fast ausschließlich in den Ballungsgebieten geschaffen wurden, während "auf dem Lande" die Zahl der Arbeitsplätze stark reduziert wurde. Dies mußte gerade in Norrbotten zu einem Überangebot von Arbeitskräften - durch den hohen Geburtenüberschuß noch verstärkt - führen, da in der Wirtschaft der primäre Sektor weitgehend dominierte und darüber hinaus die bestehenden Industrien extensiver Art waren, d. h., einen geringen Veredelungsgrad aufwiesen. Der harte Konkurrenzkampf, in den sie durch die Entstehung eines Weltmarktes gezogen wurden, zwang sie zu starker Rationalisierung durch Mechanisierung, um überhaupt noch existenzfähig zu bleiben. Die Ansiedlung großer Verbrauchsgüterindustrien verhinderte die Lage, da nahe gelegene Absatzgebiete fehlten und noch fehlen. So blieb nur die Abwanderung der überzähligen Arbeitskräfte in südlichere Gebiete mit Arbeitskräftemangel.

Auswirkungen auf die Landschaft konnten nicht ausbleiben, da die kleinere Bevölkerungsunterlage auch zur Konzentration der Dienstleistungsbetriebe in wenigen Orten zwang. Dies wiederum löste teils einen doppelten Multiplikatoreffekt aus: Zum ersten wurde die Bevölkerung durch den Abzug der Dienstleistungsbetriebe geringer, zum andern verschlechterte sich dadurch das Wohnmilieu so sehr, daß auch vorhandene und gesicherte Arbeitsplätze eine Abwanderung nicht mehr verhindern konnten.

Ähnliche Folgen können Entwicklungsprognosen der Behörden nach sich ziehen. Wenn zum Beispiel der BD 80 zu dem Schluß kommt, daß in keiner Großgemeinde die wirtschaftliche Unterlage kräftig genug ist, um die gegenwärtige Bevölkerung auch in Zukunft zu ernähren (S. 215), und daß noch ca. 60 000 Menschen abwandern müssen, ehe die Arbeitslosenquote erträgliche Werte erreicht (S. 204), so wird dadurch weder der Investitionswille der Industrie noch das Gefühl der wirtschaftlichen Sicherheit bei der Bevölkerung gestärkt.

Inwieweit die von der Prognose genannte Zahl zutrifft, kann und soll hier nicht entschieden werden. Sicher ist, daß sich die Provinz noch weiter "gesundschrumpfen" muß und wird. Über das Ausmaß entscheiden die menschlichen Inwertsetzungen der natürlichen Ausstattung der Landschaft.

Die Bedeutung der Provinz wird auch in Zukunft von den Grundlagen ihrer Wirtschaft, der Ausbeutung der Rohstoffe Holz und Eisenerz, abhängen, wobei die dünne Besiedlung und die Abseitslage immer wieder ins Gewicht fallen, und zwar besonders als Ursache für ein ungünstiges Wohnmilieu. Trotz der gegenwärtigen "Übervölkerung" kann die augenblickliche Abwanderungsquote dazu führen, daß in Zukunft die Ansprüche der Bevölkerung in dieser Hinsicht nicht mehr zu befriedigen sind. Es besteht damit die Gefahr, daß auch die relativ kleine, für die Gewinnung der Rohstoffe notwendige Bevölkerung sich nicht mehr halten läßt.

Land- und Forstwirtschaft sind aber nunmehr nicht länger aufeinander angewiesen, eine Entflechtung, unter der vor allem die Landwirtschaft zu leiden hat. Sie wird nur noch in geringem Umfang bestehen bleiben, nämlich insoweit, als es durch die Schaffung großer Betriebseinheiten möglich ist, Milcherzeugnisse - allein sie werden von den natürlichen Bedingungen begünstigt - für den Bedarf der ansässigen Bevölkerung rationell zu produzieren. Gemüse- und Obstanbau wird nur in geringem Umfang möglich sein.

Es zeigt sich hier ein entscheidender Unterschied zur Sowjetunion, die in ihren Polargebieten Land kultiviert, um durch die Erzeugung landwirtschaftlicher Güter in der Nähe der Verbraucher das Verkehrsnetz zu entlasten (vgl. SCHLENGER, 1951).

Das Verkehrsnetz Schwedens erlaubt eine vollständige Aufgabe der Landwirtschaft im Norden. Sie wird aber in jenen Gebieten nur soweit aufgegeben, als es für die Angleichung der Produktion an den möglichen Absatz in diesen Gebieten erforderlich ist. Wirtschaftliche Notwendigkeit führt in der gleichen Klimazone infolge unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Systeme zu entgegengesetzten Lösungen. Im Grunde handelt es sich auch hier um unterschiedliche Wertungen des Menschen.

Mit der Aufgabe eines großen Teils der Landwirtschaft geht eine Reduzierung der kulturlandschaftlichen Elemente einher. Wenn LEHNER über Finnisch-Lappland sagt, "die noch von Schrepfer beschriebene 'Aufsplitterung des Kultur- und Siedellandes in Oasen' mit weiten Abständen und gegenseitiger Isolation der Siedlungen (trifft) heute für bedeutende Räume nicht mehr oder nur noch in wesentlich gemilderter Form zu" (1960, S. 128), so ist zehn Jahre später für Norrbotten (=Schwedisch-Lappland) festzustellen, daß SCHREPFERS Beobachtung bald wieder zutreffen wird. Auch hier führen unterschiedliche Wertungen des Menschen zu anderen Schlußfolgerungen (in wirtschaftspolitischen gleichen Systemen). Die Anzeichen sprechen dafür, daß in Finnland bald die gleiche Entwicklung einsetzen wird wie in Schweden.

Um auf die eingangs gestellten Fragen zurückzukommen: Norrbotten wird nur noch als Rohstofflieferant, als Ergänzungsraum von Bedeutung sein. Veredlungs- und Dienstleistungsbetriebe werden nur soweit bestehen, als es für die Ausbildung eines möglichst entsprechenden Wohnmilieus unerläßlich ist. Diese Forderung muß erfüllt sein, um die notwendigen Arbeitskräfte mit ihren Familien in dieser Region zu halten. Wie es scheint, streben die Politiker diese Lösung an.

Es sei noch einmal betont: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint die Entwicklung in diese Richtung zu gehen. Aber Norrbotten kann in einer anderen Hinsicht zum Ergänzungsraum werden: als Erholungsgebiet für die Bevölkerung der Stadt- und Industrieregionen. Schweden selbst hat bislang noch nicht einen ausgesprochenden Bedarf dafür, und die Menschen anderer, übervölkerter Länder reisen vorerst noch in ebenfalls übervölkerte Urlaubsregionen. Aber auch hier können sich die Wertungen der Menschen ändern und damit der Wert Norrbottens. (Vgl. Bericht in "Die Zeit" Nr. 49/1971: Die Nachbarn trifft man nicht. Skifahren in Norwegen - mit gutem Schnee und ohne Wartezeiten). Das gegenwärtig vorherrschende Präferenzdenken der Menschen, Wohnungen und Arbeitsplätze auf möglichst engem Raum zu konzentrieren, kann eines Tages durchbrochen werden. 1968 brachte eine Düsenmaschine Arbeiter von Lule* wöchentlich nach Südschweden. Vielleicht war dies ein Vorgriff auf die Zukunft, und vielleicht bevorzugen die Menschen in ein, zwei Jahrzehnten einen Wohnort fernab der umweltgeschädigten Ballungsräume.