Mainzer Geographische Studien, Heft 14

Hildebrandt, Helmut: Studien zum Zelgenproblem - Untersuchungen über flürlichen Anbau aufgrund methodenkritischer Interpretationen agrargeschichtlicher Quellen, dargestellt an Beispielen aus dem deutschsprachigen Raum.

 

Ausblick

In Zukunft sollten nun vor allem die formelhaften Wendungen vom Typ "in unaquaque zelga", "in unaquaque aratura", "in unaquaque satione", "in unoquoque campo", "in jedes feld" usw. im Hinblick auf die Zelgenproblematik weiter untersucht werden. Dabei wäre m. E. bezüglich der frühen "Zelgen"-Nennungen dieser Art im positiven Sinne erst noch der Nachweis zu erbringen bzw. wenigstens wahrscheinlich zu machen, daß mit den betreffenden Begriffen tatsächlich flürlich-arealmäßige Fruchtartbezirke und nicht nur ideelle Fruchtfolgeeinheiten (Fruchteinheiten) gemeint sind. Denn für die zuletzt genannte Interpretationsmöglichkeit, also eine Bedeutung "ohne Flurzwang", spricht immerhin einiges. Im Zusammenhang damit können auch Untersuchungen in Jungsiedellandschaften oder in anderen Gebieten, wo flürliche Anbausysteme vergleichsweise spät aufkamen, durchaus nützlich sein, da sich hier jene Vorgänge, die zur Verzelgung führten, schon eher im Licht der Quellen vollzogen. Und gerade in solchen Agrarräumen mit quellenmäßig relativ günstigen Voraussetzungen hat sich ja schon oft gezeigt, daß der zelgengebundenen Form einer bestimmten Fruchtfolge eine zelgenlose vorausging.

Würde sich der obige Befund zunehmend bestätigen, dann wäre das für die Beurteilung der frühen "Zelgen"-Belege sicherlich nicht ohne Belang. Denn JUILLARD (1952, S. 38) hat grundsätzlich wohl recht, wenn er sachlich wie genetisch voneinander trennt: "Le rythme de succession des cultures d'une part, qui semble être apparu d'abord, et d'autre part l'organisation du terroir en soles, réalisées sans doute plus tard". Auf die Frühzeit der historischen Feldsysteme in Mittel- und Westeuropa angewandt, bedeutet dieser Satz, daß man in den betreffenden "Zelgen"-Gebieten als Vorläufer der flürlichen Form einer bestimmten Fruchtfolge eine längere zelgenlose Phase desselben Anbaurhythmus anzunehmen hat. Außerdem wäre hier für den Wechsel von der individuellen zur flurzwanggebundenen Variante bei sich sukzessiv ausbildender Zelgenwirtschaft noch eine entsprechende Übergangszeit mit Früh- bzw. Vorformen des flürlichen Anbaues zu berücksichtigen. Und eine solche "allmähliche" Verzelgung dürfte zwar nicht die Regel, aber eben doch zumeist der Fall gewesen sein.

Von daher wird die Problematik der Entstehungsmechanismen flürlicher Anbausysteme besonders aktuell. Dieser siedlungs- und agrargeographisch gleichermaßen bedeutsame Fragenkreis ist leider noch viel zu wenig erforscht. Abgesehen von jenen Fällen, wo die Einführung der Zelgenwirtschaft aufgrund herrschaftlicher oder bäuerlicher Initiative in einem einzigen, d. h. kurzfristigen, Akt erfolgte, der dann manchmal auch archivalisch einen einigermaßen deutbaren Niederschlag gefunden hat, ist andererseits die Verzelgung als ein sich nach und nach über die Ackerflur ausbreitender Prozeß im Detail noch weitgehend unbekannt. Spezielle Untersuchungen dazu hätten vor allem nach Vor- bzw. Frühformen flürlicher Ackernutzung Ausschau zu halten, die, sozusagen als Momentaufnahmen von unterschiedlich weit fortgeschrittenen Verzelgungsstadien, Anhaltspunkte zur Zelgengenese liefern könnten. Dabei wird man allerdings häufig retrospektiv vorgehen müssen und insbesondere im Hinblick auf die Frühzeit, ohne Analogieschlüsse nicht auskommen.

Sicherlich hat MÜLLER-WILLE (1944, S. 38ff.) grundsätzlich recht, wenn er Verzelgung und mittelalterliche Vergetreidung in ursächlichem Zusammenhang sieht und dementsprechend zeitlich parallelisiert. Die Frage ist nur, wann die erste größere historische Getreidekonjunktur in Mittel- und Westeuropa anzusetzten ist, in deren Gefolge die Verknappung von Allmendweiden und die Ausbreitung von Dauersystemen die zelgengebundene Brachbeweidung notwendig machten und dadurch das Prinzip des flürlichen Anbaues aufkommen ließen. Ausgehend von der allerdings noch weiter zu erhärtenden Annahme, daß jene frühen "Zelgen"-Termini durchweg keine arealmäßigen Bezeichnungen sind, sondern nur für die ideelle Einheit "Fruchtart" (Fruchteinheit) stehen, möchte ich entgegen MÜLLER-WILLE (a. a. O.) die Anfänge flürlicher Felderwirtschaft nicht bis in die Merowingerzeit zurückverlegen bzw. mit einem agrarwirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen Aufschwung des 6. - 8. Jahrhunderts in Verbindung bringen. Das Zelgenprinzip ist allem Anschein nach jünger, d. h. dafür ist wohl erst die Getreidekonjunktur des Hochmittelalters verantwortlich zu machen. Bis dahin dürfte sich dann auch schon eher jene Mindestgemengelage im Besitzgefüge der betreffenden Altfluren ausgebildet haben, ohne die Zelgenwirtschaft bei sehr vielen Flurformen nicht gut möglich ist.

In diesem Zusammenhang erscheint es schwer vorstellbar, die Notwendigkeit der Brachbewei- dung in Verbindung mit einer gewissen Gemengelage hätte zunächst nur in einem einzigen Gebiet zur Verzelgung geführt. man wird vielmehr davon ausgehen müssen, daß eine solche Entwicklung bei gleichem bzw. ähnlichem agrargeographischen (getreidebaugünstigen) Milieu in verschiedenen Landschaften unabhängig voneinander einsetzte. Im Hinblick auf die ersten Anfänge flürlicher Anbauformen ist also eher mit Konvergenz als mit Übertragung zu rechnen. Im weiteren Verlauf der Kulturlandschaftsentwicklung dürfte dann allerdings in zunehmendem Maße Übertragung statt Konvergenz zur Ausbreitung der Zelgenwirtschaft beigetragen haben.

Ganz gleich, unter welchem Aspekt man in die Zelgenthematik einsteigt, überall stößt man schon bald auf ungelöste Probleme. Lediglich kleinräumige Spezialuntersuchungen, die jede Gemarkung in ihrem flur- und agrargeographischen Werdegang möglichst detailliert aufbereiten, können hier weiterhelfen. Aussicht auf Erfolg hätten sie wohl noch am ehesten in Reliktlandschaften oder in Gebieten mit einer guten und entsprechend früh einsetzenden Überlieferung. Aber selbst unter diesen Voraussetzungen werden sich merkliche Fortschritte in der Erkenntnis nur dann einstellen, wenn der Zufall der Überlieferung dabei entsprechend mitspielt, d. h. die Zelgengenese in den Quellen auch in irgendeiner Form zum Ausdruck gebracht hat.